Freitag, 6. September 2013

Wenn einer eine (Bahn-)Reise tut...

Mutter hatte Geburtstag, noch dazu einen runden. Das bedeutet für mich guten Sohn natürlich: Abflug gen West-Niedersachsen.

Und Abflug bedeutet: Entweder Niedersachsen-Ticket kaufen oder Mitfahrgelegenheiten nutzen. Leider fand sich niemand, der zum passenden Zeitpunkt ins niedersächsische Nichts reisen wollte, so kann ich leider auch keine aktuellen Mitfahrgelegenheitsgeschichten zum Besten geben. (Vor allem sollte ich mal die lang nicht mehr aktuellen in Worte fassen...).

Dooferweise hatte mir auch noch die gute Frau "Sunflower22a" den Titel, den ich für diesen Text geplant hatte, "geklaut"...neeh, sie war einfach schneller.

Die Deutsche Bahn war dann also das Transportmittel meiner..."Wahl", denn zu Fuß laufen wollte ich nicht, eigenes Auto, motorisiertes oder per Muskelkraft betriebenes Rad besitze ich nicht, an meinen Fähigkeiten, Harry-Potter-gleich auf einem Besen zu reiten, feile ich noch und getrampt bin ich irgendwie noch nie so wirklich gern.

An einem Freitag um 13.15 Uhr sollte es von Gleis 13a/b ab dem Hamburger HBF losgehen. Da ich noch ein Ticket lösen und Reiselektüre kaufen wollte (musikalische Unterhaltung oder gar Internetz waren für die Reise ausgefallen, da mein Handy Tage vorher spontan den Dienst quittiert hatte), ich hatte zwar ein Taschenbuch eingepackt, aber ich kenn ja die Horrortrips runter in die Heimat, es ist besser, wenn man da vorbereitet ist, ich machte mich also frühzeitig auf den Weg.

Ich stieg eine satte Stunde vor planmäßiger Abfahrt in Barmbek in die S1, die im Normalfall zum HBF keine zwanzig Minuten braucht. Sie stoppte auf der Strecke drei Mal und kam mit acht Minuten Verspätung am Ziel an, was der Chauffeur auch vergnügt ins Mikro flötete. "Paar Minuten zu spät, aber jetzt sind wir am Hauptbahnhof angekommen! Allen jetzt Aussteigenden noch einen angenehmen Tag!" Geschäftsleute mit Aktenkoffern hätten den S-Bahn-Fahrer vermutlich erwürgt, hätten sie nicht zu ihren wartenden ICEs sprinten müssen - auf mich warten Züge übrigens nie. Nichtmal Regionalbahnen.

Weise wie ich bin, war ich ja frühzeitig losgefahren und hatte noch Zeit, mir Lesestoff und ein belegtes Baguette mit Salami und eingelegten Gurken zu einem Schnäppchenpreis auf dem Südsteg zu organisieren. Das Baguette mieft zwar bösest, ist aber fester Bestandteil jeder meiner Bahnreisen, da lecker und günstig. Die hasserfüllten Blicke Mitreisender prallen inzwischen an mir ab wie ein Flummi oder Pistolenkugeln bei "Under the dome".

Kurz nachdem der Zug aus aus dem HBF gerollt war, ich bestaunte das Hafenpanorama unter blitzeblauem Himmel und dann die Grafittis, die kilometerweit bis nach Harburg flächendeckend die Lärmschutzwände verschönern, setzte sich ein Herr um die 70 zu mir in mein Viererabteil, er hatte vorher freundlich gefragt, ob das ok sei...was für eine Frage! Wir smalltalkten über das Wetter und unsere Reiseziele ("Ach, Emsland? Nein, entschuldigen Sie, das kenne ich nicht...aaah. Ach, SV Meppen, jaaa, kenne ich!!" Soll mir noch mal wer erzählen, Fußball bringe die Menschen nicht zusammen.) Leider stieg er 25 Minuten später in Buchholz auch direkt wieder aus.

Hab mich dann kurz in der näheren Umgebung umgeschaut, hab aber niemanden entdeckt, wegen dem ich das stinkende Terror-Baguette nicht hätte auspacken sollen. Keine Alten, keine Kranken, keine Kids in der Nähe. Es war lecker wie immer. Drei Flüchtlinge, ein paar "böse" Blicke. Positiver Verlauf.

Endlich am Bremer HBF, den ich sehr mag, angekommen, habe ich 30 Minuten Umsteigezeit, da ich den Bhf aber in-und-auswendig kenne, hab ich mich erstmal rechts neben dem Bahnhofs-Vorplatz auf die Grünfläche vor dem Übersee-Museum gefläzt und fünfzehn Minuten abgeschaltet.

Dann zum "Burger King", blöderweise hatte ich mich in den "Double Chili Cheeseburger" verguckt, den es grad im Angebot für 1,99€ gab. Ein Watte-Brötchen mit zwei Lagen Rindfleischersatz plus doppelt Chemiekäse und Jalapeno-Scheiben. Nun ja... Das Ding wurde eingesackt, essen wollt ich`s in der Bahn, nicht im Gedränge auf dem Bahnsteig.

Jetzt hatte ich aber folgendes nicht bedacht: Freitag Nachmittag. Feierabendverkehr für Pendler aus Hannover und Bremen zurück Richtung alle anderen Städte im nördlichen Niedersachsen, zur Nordsee und so.

Am Bahnsteig am Gleis drei Richtung Oldenburg, Leer und mit Umstieg straight gen Küste, stapelten sich die, die in den Zug wollten.

Im Zug selbst sah es nicht anders aus, ich wurde mit der ersten Welle in die doppelstöckige Bahn "reingespült", selbst wenn ich das nicht gewollt hätte - keine Chance.

Ich landete in einem Wagen, der zum Transport für Fahrräder gedacht war und fand einen Platz, an dem ich mich irgendwo fest halten konnte und an dem gleichzeitig ein wenig Freiraum um mich rum war. Ich hätte mich am Sack kratzen können, wäre das nötig gewesen. Andere hatten die Option nicht.

Irgendwann endet der Zufluss von Menschheit und die Tür unseres Waggons ist schon fast geschlossen...ein im bebatikten Jutesack gekleideter Arm drängt herein, danach eine schwitzende Hippietrulla, die ihre besten Jahre lange hinter sich hat.

"Hallo! Ich bin Ute! Draußen stehen meine sechs Kinder samt ihren Rädern. Dies hier ist ein Wagen, der für Fahrradtransporte gedacht ist, nicht für normale Reisende. Suchen sie sich doch bitte einen anderen Platz!"

Fassungslose Gesichter derer, die ihr Gepäck in diesem Waggon mangels Platz auf den Schultern tragen und mit dem Nacken und Hinterkopf abstützten, damit es ihnen nicht ins Kreuz fällt.

"Ich habe Kinder! Sechs Stück! Dies ist ein Fahrrad-Waggon! Mein Name ist Ute! Wechseln sie bitte den Wagen!"

Ich muss bei ihren Ansagen grinsen und zwinkere dem Mittfünfziger, der neben mir nach Luft ringt, zu. "Der war gut!". Er nickt zustimmend und röchelt dann. Luftzufuhr durch Kopf abnicken kurzzeitig abgeschnitten.

"Ich habe Kinder!" wiederholt Ute, und nicht nur ich frage mich, woher sie die hat. Adoptiert? Entführt? Bei der Kartoffelernte gefunden? "Gehen sie woanders hin, der Zug ist lang, meine Kinder und ich haben die Räder dabei. Wir sind im Recht!"

Irgendwer muss laut lachen.

Woraufhin Ute sich in ihrem selbst bebatikten Hippie-Poncho aufplustert wie ein in Tschernobyl geschlüpfter Pfau auf Pillen.

Das Lachen steckt mich an und ich pruste auch los.

"ICH bin im RECHT!!" krakeelt sie mit sich überschlagender Stimme in den Waggon, in dem die Reisenden noch immer Körper an Körper stehen wie die Sardinen in der Büchse, "Lustig ist das gar nicht, warum wird hier gelacht??" brüllt sie und ihre Augen quellen aus den Höhlen unter ihrer..."Frisur" hervor. Ich würde gerne aufhören mit dem Lachen, dazu muss sie aber aufhören mit dem "Ich bin Mutter, ich darf das"-Getue, das selbst ihren Kindern inzwischen peinlich ist, die aufgereiht wie Orgelpfeifen auf dem Bahnsteig stehen. Der Älteste guckt hilflos durch die Gegend und ein kleines Mädchen weint herzzerreißend, "Mutti" nimmt das nicht wahr, sie ereifert sich weiter und geifert ihren Quatsch in die Gegend.

Der Zug sollte seit zehn Minuten unterwegs sein, da die wildgewordene Hippie-Zombie-Mutter aber weiterhin zwischen den Schiebetüren steht, die Ansagen des Zuführers missachtet und Gift und Galle verspritzt, im TV bei "Grimm" hätte sie sich längst in irgendetwas eklig reptiloides mit Schuppen und Reißzähnen verwandelt, rückt jetzt tatsächlich die Bahn-Polizei an.

Und entfernt Mutti vom Zug. Nachdrücklich. Zwei Beamtinnen kümmern sich derweil um die weinenden Kinder. Der Anblick der Jüngsten, maximal vier und mit einer Schleife im Haar, die nicht weiß, was passiert und warum Mami so schreit, ist herzzerreissend. Aber Mami krakeelt immer noch in Richtung des Zuges, der mich nun langsam aus dem Bremer HBF bringt - ihre weinenden Kinder sind ihr ziemlich egal.

Der Zug rollt von Bremen über Oldenburg...

(meine alte Heimat, er fährt quasi direkt an meiner ehemaligen Wohnung vorbei, das Studentenwohnheim, in dem ich lebte und in dem ich die beste Zeit meines Lebens hatte, liegt direkt neben den Gleisen und oft hab ich, im Bett liegend, das Gebimmel der kleinen Glocken an den Schranken vorm Wohnheimgelände gehört.

Vierzehn Jahre her und ab und zu würd ich gern die Uhr zurück drehen und wieder genau dort in meiner Studi-WG von meiner hysterischen Mitbewohnerin Constanze aus dem Schlaf gerissen werden, weil sie mal wieder einen Spritzer auf der Klobrille entdeckt hat oder keine Kaffeefilter mehr da sind. "THORGEEEEEEEE, es ist WICHTIIIIIIIICH!!!" Herrlicher Gedanke!)...

...und als er durch Oldenburg durchgerollert ist und das Kopfkino nachlässt, widme ich mich meinem Lesekram. Und bereite mich vor, auf das, was kommt.

Fast eine Stunde Aufenthalt am HBF Leer...

...(to be continued.)

5 Kommentare:

  1. na da bin ich ja mal gespannt wie es weitergeht...

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  2. *hach- vorbei an den stätten meiner jugend..
    eschhorn und oldenburg waren bevorzugte trampziele..

    sagt dir die disco "alhambra"noch was??
    lg- die hamburger exilantin

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  3. Ja sicher kenne ich die, da bin ich einige Male während meiner drei Jahre Studium in OL versackt :) Neben dem "Amadeus" und dem "Schmittz" unser Haupt-Anlaufspunkt am WE oder Mittwochs, da war in den ganzen Bars&Clubs ja immer "Studenten-Nacht", letzter Drink erst 4 Uhr morgens etc...die Donnerstage waren regelmäßig ein Kampf... ;)

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  4. Toller Blog. Hab die letzten fünf Beiträge gelesen. Sehr unterhaltsam :).

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    1. Vielen Dank für das Kompliment! Freut mich, wenn es Dir gefällt! :)

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