Sonntag, 17. August 2014

Die Qualle

Die Qualle sitzt am Abend an einer Bushaltestelle an der Fuhlsbüttler Straße, sie ist etwa 60 Jahre alt und hat sich im Laufe der Zeit sowohl einen grau-braunen struppigen Schnauzer als auch einen beeindruckenden Bierbauch, der nun das Flanellhemd fast zum Platzen bringt, herangezüchtet.

Die Qualle hockt feist auf einem der Sitzplätze und nimmt Schlucke aus der Flasche Oettinger, die sie fest umklammert hält. Es ist nicht das erste Bier des Tages, soviel ist auf den ersten Blick klar.

Die Qualle trägt knallrote Kopfhörer, die sie im minütlichen Wechsel auf und ab und wieder auf und wieder ab setzt, vor ihr parkt ein ranziger Hackenporsche, der unangenehm riecht.

Die Qualle hat etwas gegen meinen Bekannten, den ich zufällig getroffen habe, als ich zum Bus ging. Er arbeitet in der Nähe.

Und er ist türkischer Abstammung.

Oder kurdischer.

Oder sonstwas.

Ich weiß es gar nicht genau und es ist mir auch herzlich egal.

Der Qualle ist das nicht egal.

Schwarze Haare, dunkler Teint.

Feindbild.

Die Qualle lallt Dummes in die Welt.

"Achgugg, das Ölauge sprichddeutsch! Darfsu das übahaupt? Glaubbich nämmich nich, dürfn nur echte Deutsche. Bisdu nich, du bisn Muladde. Muladde!!"

Das geht ein, zwei Minuten so.

Peinlich berührt wenden sich einige ab, mein Bekannter, dessen Mutter, Frau und kleine Tochter neben uns stehen, bebt vor Wut, er ist aber ein kluger Mensch und lässt die Qualle labern. Mit ein oder zwei Gesten bedeutet er ihr, ruhig zu sein.

Seine Mutter und seine Frau haben Tränen in den Augen, sowas ist ihnen lang nicht widerfahren. Die Kleine bekommt zum Glück nicht viel mit, sie ist mit ihrer Puppe beschäftigt, die sie mir kurz zuvor noch vorgestellt hat, ich Hohlkopf habe den Namen der Puppe allerdings vergessen.

Mein Bekannter tröstet Frau und Mutter, immer noch zitternd vor Wut. Die Qualle schwitzt, trinkt vom Billigbier und lallt irgendwas von "alle abschieben, alle raus".

Manchen Menschen...

Der Bus kommt, ich verabschiede mich vom Bekannten und seiner Familie. Die Qualle hievt sich und sein Gepäckstück ebenfalls in den Bus Richtung Norden und lässt sich ächzend und schwankend auf eine Bank im vorderen Teil des Busses fallen.

Es dauert keine zehn Sekunden...

..."Achguck, n Neger!" Er hat einen farbigen Mitfahrer ihm gegenüber an der Tür entdeckt. "Dürfn die frei rumlaufn? Glaubbich abba nich, daß Neger das dürfn!"

Die Qualle imitiert Affenlaute, trinkt weiter ihr Bier und kann froh sein, daß der, den sie da grad beleidigt, anscheinend eine Seele von Mensch ist und sie nicht einfach vom Sitz boxt. Der Beleidigte lächelt das weg. "Lass mal, der ist besoffen." ist seine einzige Reaktion und dabei grinst er.

Ob er wirklich so denkt oder nur sehr gut Wut, Schock oder gar Angst überspielt, weiß ich nicht, aber für den Fall, daß ihm die Sprüche tatsächlich egal sind, ziehe ich meinen Hut vor so viel Gelassenheit und einem so dicken Fell.

Ich kann das nicht, ich koche innerlich bereits und vermutlich steigt mir der Rauch aus den Ohren.

Manchen Menschen...

Die Qualle hat durch ihr Gepöbel den vorderen Bus-Teil fast für sich allein.

Außer ihr sind da nur noch ich, der Fahrer, der der ganzen Sache interessiert zuhört, aber nichts unternimmt und eine Mittzwanzigerin mit Kopftuch auf dem Sitz ganz vorn, die die Qualle bis dahin nicht bemerkt hatte.

Die Qualle schreckt förmlich auf. Ein Kopftuch.

Ein langer Zug an der Flasche.

Fast schon panisch.

"Eyh! Eyh! Du da!! Eeeyyyh!! Du da mim Kopftuch!! Schleiereule!! Is Deuschlan hier, Deuschlan! Deuschlan is das hier! Wir tragn nich so Scheiß, wennu so Scheiß tragn wills musse suhaus machn wo du herkomms! Bei den annern von deine Sorte. Bein Terrorisn! Eyh Alde, hörsu mich? Eyh Alde!! Wir ham Vermummungsverbot in Deuschlan! Vermummungsverbot! Machma ab den Turban, dann..." - statt weiteren gelallten Tiraden rülpst er laut. Und nimmt direkt wieder einen Schluck von seiner Plörre.

Manchen Leuten...

An der nächsten Haltestelle muss ich raus, genau wie die Kopftuchträgerin. Und auch die Qualle bewegt sich zur Tür.

"Kannsu mir helfen? Is schwer!" Die Qualle redet mit mir, deutet auf ihren Hackenporsche und möchte, daß ich den für sie aus dem Bus hebe.

Das kann nur ein Witz sein.

"Bidde Alder, schwer is das. Kannsu das raushem? Der Neger is ja schon weg, der is ja aussestiegn. Wär ja sons sein Job gewesn."

Die Qualle meint das ernst.

Ich lasse meinen Mittelfinger die Antwort geben.

Die Gute mit dem Kopftuch steigt natürlich ebenfalls aus, ohne auch nur einen Gedanken an Mithilfe zu verschwenden.

"Ein stolzer Deutscher wie Sie wird doch wohl sein Gepäck allein und ohne Hilfe einer Terroristin tragen können?" höre ich sie sagen und würd ihr dazu am liebsten gratulieren.

Die Qualle brüllt uns, die wir in verschiedene Richtungen verschwinden, einiges hinterher.

Fotze, Arschloch, Negerfreund. Das übliche. Nichts innovatives.

Manchen Menschen...

...ich gebe es zu:

Manchen Menschen möchte ich manchmal einfach nur mit Anlauf in die Fresse hauen.

Worte helfen da schon lange nicht mehr, diskutieren ist eh nicht im Ansatz möglich.

Einfach BAMM, eine links, eine rechts, keine Erklärungen, Feierabend.

Würde ich wirklich gern.

Manche haben es einfach nicht anders verdient.

7 Kommentare:

  1. YES!!!!

    die Exil-Hamburgerin

    AntwortenLöschen
  2. Was bringts? Diese kümmerlichen Existenzen zu ignorieren schmerzt sie viel mehr. Die wollen nur Aufmerksamkeit. Wie kleine Kinder.

    AntwortenLöschen
  3. Was wohl passiert, wenn die Qualle oder andere "Freiheitliche" (so nennen die sich ja neuerdings, damit sie nicht sofort in der Ecke verortet werden, wo sie hingehören) rausfinden, dass wir alle von "Negern" abstammen? Darauf läuft es nämlich hinaus, wenn man das Abstammungsprinzip, auf das sie so viel Wert legen, ganz konsequent anwendet. Auch die alten Germanen waren ganz am Anfang mal Afrikaner. Aus der Gegend um Äthiopien, um genau zu sein.

    Ich kann in Gedanken schon den Knall hören, wenn das komplette Weltbild in sich zusammenbricht...

    H.O.

    AntwortenLöschen
  4. Da dürfte ich dich nicht begleitet haben!

    AntwortenLöschen
  5. Manchen Menschen möchte ich manchmal einfach nur mit Anlauf in die Fresse hauen.
    Das kann ich sowas von nachvollziehen, geht mir oft genug ähnlich.

    Und um ehrlich zu sein, so schlagfertig wie die Frau mit dem Kopftuch wäre ich in solchen Situationen auch gern...

    AntwortenLöschen
  6. Das soll jetzt kein Vorwurf sein, aber mir ist unverständlich, wie Du in Deiner priveligierten Rolle auch nur die erste Situation ablaufen lassen konntest, ohne Dich für Deinen Bekannten einzusetzen...

    Ich kann in solchen Situationen (sei es Bekannter oder nicht) nicht daneben sitzen und die unglaubliche Ungerechtigkeit dieser rassistischen Ausfälle einfach passieren lassen. Blogbeitrag schreiben is ja schön und gut, aber was sagt der? Ich bin sitzengeblieben, hab betreten beiseite geschaut, war mir pein lich, du bist nicht allein, wenn du es genauso machst wie ich? Das finde ich falsch! Macht den Mund auf! Wehrt euch gegen dieses Pack! Lasst die Opfer nicht alleine!

    AntwortenLöschen
  7. Hey "anonym"!

    Bitte entschuldige meine späte Antwort, ich bin vorher einfach nicht dazu gekommen.

    Danke für Deinen Kommentar, den ich keinesfalls als Vorwurf auffasse, da Dein Einwand ja vollkommen berechtigt ist.

    Ich bin da voll auf Deiner Seite, man sollte solchen Individuen klipp und klar ihre Grenzen aufzeigen und den Mund aufmachen, anstatt es einfach geschehen zu lassen.

    Wenn ich an die Situation mit meinem Bekannten zurückdenke, bekomme ich Magenschmerzen und ich bin immer noch wütend darüber, ich hätte gern eingegriffen.

    Warum also habe ich das nicht getan?

    Zwei Gründe:

    Zum einen war die "Qualle" in keinster Form mehr aufnahmefähig für irgendwelche Argumente, denn sie war schlichtweg sturzdicht. Der Typ sah/hörte nur noch, was er sehen/hören wollte bzw was seinem Weltbild entsprach. Rein verbal war an den nicht mehr ranzukommen. Vergebliche Liebesmüh.

    Zum anderen - und das war mein Hauptgrund: Mein Bekannter hatte seine Familie inklusive seiner kleinen dreijährigen Tochter dabei. Ich hatte Sorge, wie der Pöbler reagiert, wenn er Kontra bekommt. Vielleicht schlägt er um sich und trifft die Kleine, vielleicht schmeißt er seine Bierflasche und die trifft sie?

    Klar, das sind worst case-Szenarien, aber das waren meine ersten Gedanken und deshalb habe ich nur beobachtet, ohne aktiv einzugreifen.

    Man kann es natürlich auch so sehen, daß man hätte eingreifen sollen oder müssen, grad WEIL ein Kind involviert war. Das ist wohl Ansichtssache.

    Wären mein Bekannter und ich allein in so eine Situation geraten, hätten wir beide definitiv anders agiert.

    Ich habe mit meinem Bekannten ausführlich über die Sache gesprochen, er lacht inzwischen darüber und seine Familie hat das abgehakt. Das sagt er zumindest und ich denke, das stimmt auch.

    In den anderen Situationen im Bus habe ich dann deswegen nicht eingegriffen, weil ich den Eindruck hatte, daß die beiden, die beschimpft wurden, die "Qualle" nicht ansatzweise ernstgenommen haben. Bei körperlichen Übergriffen wäre ich selbstverständlich dazwischen gegangen, zu denen war die "Qualle" dank Alkoholpegel und Leibesfülle aber schon lange nicht mehr in der Lage.

    Ich hoffe, das beantwortet Deine Frage nach dem "warum". Falls nicht - meld Dich gern wieder!

    Ich wünsche einen schönen Sonntag!

    AntwortenLöschen