Sonntag, 17. Mai 2015

Sternenhimmel

Später Abend.

Ich steige am Baumwall in die fast leere U-Bahn und habe freie Platzwahl.

Ich setze mich auf einen Platz am Fenster und ziehe mir meine Kopfhörer über die Ohren.

Musik an, noch kurz durchs Fenster mit müden Augen den nächtlichen Hafen bewundert, dann Hirn aus, Augen zu, ab nach Hause.

Ein paar Stationen später, im Ohr gerade einen sehr ruhigen Part, höre ich Geräusche, die ich nicht direkt einordnen kann und öffne die Augen wieder.

Kurz muss ich wegen der blendenden Lichter im Waggon blinzeln, dann erkenne ich ein Mädchen, Mitte zwanzig ist sie vielleicht und sie tastet sich mit ihrem Blindenstock durch den Mittelgang und lässt sich, bevor ich ihr vermutlich eh unnötige Hilfe anbieten kann, ins Sitzabteil rechts gegenüber fallen und schnauft erstmal tief durch.

Da das erleichtert und ermüdet klingt und sie scheinbar einen anstrengenden Abend hatte, entschließe ich mich dazu, die Klappe zu halten und ihr ihre Ruhe zu lassen, obwohl ich mir einbilde, sie habe kurzzeitig in meine Richtung gelächelt, bevor sie sich auf den Sitz plumpsen ließ.

"Das war sicher Kopfkino", denke ich mir, "ganz klar, warum sollte die dich denn bitte anlächeln? Die sieht dich nich, gesagt haste nix, haste dir wieder was eingebildet, kannste ja gut."

Ich fläze mich auf meine Sitzbank, schließe wieder die Augen, lehne den Kopf an die Fensterscheibe - klonk - und das Handy switcht zum grandiosen ClickClickDecker.

"Ich beneide Dich um Deinen Sternenhimmel."

Ich muss automatisch grinsen und bin mit der Gesamtsituation sehr zufrieden.

Das Lied beginnt und wie ich das manchmal so mache, wenn ich mich vor Beobachtern sicher wähne oder gute Laune habe, singe ich nicht mit, zumindest nicht laut, ich forme nur die Worte mit den Lippen.

Nur für mich ganz allein.

Fast vollkommen lautlos.

Vermutlich sehe ich dabei zum Schießen komisch aus, das ist mir aber vollkommen egal.

Das Lied läuft so knappe drei Minuten und ich "singe" für mich allein mit und freue mich, danach shuffelt das Handy zu was Instrumentalem und ich wippe nur noch im Takt mit dem Fuß.

Kurz vor der Kellinghusenstraße tippt jemand sacht auf meine Schulter.

Ich schaue hoch. Das blinde Mädchen aus dem Abteil gegenüber. Dieses Mal lächelt sie mich wirklich an.

"Was für ein schöner Text, den du geflüstert hast. Verrätst du mir, von wem der ist?"

Ich bin vollkommen baff und kriege es grad noch so hin, ihr Songtitel und Musikanten zu nennen, dann steigt sie mit über den Boden ratterndem Stock aus, winkt dabei mit der freien Hand und dann fährt die Bahn ab.

Und ich sitze verwirrt da.

Dann muss ich lachen und bin glücklich für einen Moment.

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